Kolumne

Der Zwinger lässt unseren antiautoritär erzogenen Hunden freien
Auslauf, um hier und dort gegen ein paar Bäume oder Ähnliches zu pissen.
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Letzte Änderung am Freitag, 10. Juli 2020 um 23:27:45 Uhr.



Morsche Szähne

Der Liberalismus ist die größte Geisel der Menschheit geworden, denn er sorgt dafür, dass Handeln ohne Konsequenz bleibt! Die größten Verbrechen der heutigen Zeit bleiben ungesühnt, oder zumindest sind die Schwerter der Sühne stumpf. Was hat Einer zu befürchten, der Kapitalverbrechen mit Schäden in Millionen oder gar Milliardenhöhe anrichtet?
Während Maultaschendiebe und Klopapierentwender kriminalisiert werden, Schwarzfahrer in den Knast gesteckt werden, fordern gescheiterte, oder gescheite Investmentbank-Räuber Ausgleichszahlungen. So etwas hätte es zu Zeiten der „Weimarer Republik„ nicht gegeben. Da hätte ein Bankrotteur die Schublade seines Sekretärs geöffnet und die schönste Pistole ausgewählt, um wenigstens ein Stück weit für Satisfaktion zu sorgen.
Aber vielleicht befinden wir uns schon im Krieg, im Globalen, im Weltkrieg. Und betrachtet man die Schäden die durch die Nachkommen von Bomber Harris und Adolf Hitler- also der Goldman Sachs und Hypo Real Estate- angerichtet wurden, dann kommen sie an die finanziellen Schäden des zweiten Weltkriegs heran.
Natürlich sterben keine Menschen, aber setzt man den finanziellen Schaden, mit Lebensarbeitsleistungen von realen Menschen ins Verhältnis, werden auch Millionen Existenzen mit einem Mausklick vernichtet. So als hätte man nie gearbeitet. Der Ostdeutsche hat bei einem Brutto von 1400€ und einer Lebensarbeitszeit von 48 Jahren in seinem Leben rund 806 400 Euro verdient. Also entsprechen 100 Mrd - 124 079 ostdeutschen Existenzen, die ein Leben lang gearbeitet und dann ausgelöscht wurden- ökonomisch betrachtet. Gesetzt dem Fall, man geht von dem Grundsatz aus: Geld ist zu Papier gewordene Arbeit, wie es olle Marx mal gesagt hat.
Man bekommt dafür aber auch 1 666 666 Afrikaner. Und wenn man sich ansieht, wie viel Geld weltweit verbrannt wurde, dann entspricht das vielleicht schon der Menge von 50 Millionen vernichteten Existenzen. Nur die Gauleiter haben keine Armbinden mit Eurozeichen im weißen Kreis, sondern kleiden sich im edlen Zwirn. Früher war die deutsche Autobahn das Millionengrab, welches die Massen beruhigen sollte, obwohl sie einen ganz anderen Zweck verfolgte – heute ist es der Bankenrettungsanker, der aber Milliarden kostet. Gestern wie heute wird die Wirkung nur von kurzer Dauer sein. Irgendwann wird man – virtuell - die Grenzsteine überrollen. Nur heute kann man sich nicht mehr dagegen schützen.
Aber die Deppen von heute berauschen sich an Big Brother und Heidi Klum oder wie sonst die UFA-Stars von heute heißen mögen. „Heil Ackermann„ rufen die Einen und „Todesstrafe für Kinderschänder„ die anderen , obwohl mir nicht klar ist wo der qualitative Unterschied zwischen den beiden Sachverhalten liegt. Denn so schlimm wie die Arschfickereien von Gottesboten auch sein mögen, das Gearschficksein, das von heutigen Gralsbringern aus Politik und Wirtschaft an den zukünftigen Generationen verursacht wird, kann man in Perversion und Verlogenheit kaum überbieten. Da wird geknausert wo es nur geht: na klar der Hartzie ist Schuld, Blindengeld wird gekürzt- da kann man Millionen sparen- aber den Banken oder merkwürdigen Staaten steckt man Milliarden in den korrupten Po- merkt eigentlich noch jemand für wen hier Politik gemacht wird? Piratenpartei und freie Wähler- alles Mummenschanz – ich fordere die Neugründung der RAF und spende tausend Euro für Munition – ehe man dazu übergeht jeden Tag eine Null auf den Euro zu stempeln.

Knurrt die Rottweilerin

Chefszähne

In Anlehnung an Franz Joseph Strauss sage ich ja immer: es ist mir egal, wer unter mir Abteilungsleiter ist. Aber was sich da heute so das goldene Namensschild ans Revers heften darf und dann durchs Objekt läuft mit stolzer Brust und leeren Kopf, das geht auf keine Kuhhaut. Los geht es damit, dass der nicht mal Franz Joseph Strauss kennt, aber in der völlig falschen Auslegung des Zitats und in freudiger Erregung seinen Hosenlatz öffnet. Hallo! Geht’s noch?
Aber so ist dass, wenn man als Qualifikation nur die direkte Verwandtschaft zum Chef sein Eigen nennt.

Kennt ihr das auch, dass die Anwesenheit von einem gewissen Kollegen so wirkt, als ob zwei Mitarbeiter fehlen würden? Irgendwann haben sie mir ihn vor die Nase gesetzt: Anzug, blasses Gesicht, blasiertes Gehabe- betont langsam Gehen, der Versuch jeden in die Augen zu schauen und dabei auf die Nasenwurzel sehen. Es wurde sogar extra ein Posten geschaffen, den es noch gar nicht gab. Das Dumme ist, jeder weis, das der so notwendig ist wie ein Kropf und er will partout beweisen, das wir uns irren.
Schon die Antrittsrede! In einige Worte hat er sich scheinbar verliebt- oder er hat nicht so viel aktiven Wortschatz: „Handlungskompetenz„(dreimal)…. „wir sind gut aufgestellt„(sieben Mal)…. „da bin ich ganz bei ihnen„(zwei Mal), „win win Situation„ (vier Mal) „da gehen wir her„ (drei Mal), ein Stück weit„(drei Mal). Insgesamt viel geredet- nix gesagt, ich habe mal nach seinem Beinkleid gesehen- aber die Wortwichserei hatte keine Auswirkungen. Ein kluger Mann hat mal gesagt „Niemand hört so viele bescheuerte Sätze, wie Bilder in einer Ausstellung„ - wenn wir noch drei Reden von diesem Typen hören, machen wir den Bildern ernsthaft Konkurrenz. Mein bester Freund Andy bezeichnet solche Leute als „Talking– Class- Heros„. Recht hat er.
Erste Amtshandlung war, die Notwendigkeit unserer eigenen Kurierfahrer in Frage zu stellen und rechnete vor, was man da so an Personalkosten sparen könne. Da schritt noch der Alte ein. Aber dadurch ließ sich Kevin(so nenne ich ihn mal) nicht entmutigen. Keine Ahnung auf was sein Grundmisstrauen fußt- auf Erfahrungen in der Arbeitswelt jedenfalls nicht, ist er doch mit Dreißig Jahren nur diverse Studium-Versuche vorweisen konnte. Also wollte er in seinem zweiten Coup mittels eines GPS – Systems die Standorte jedes Fahrers kontrollieren können. Dummerweise waren die Systeme für LKW und nicht für unsere kleinen Kurierfahrzeuge gedacht, weswegen nach dem ersten Wochenende die Hälfte der Fahrzeuge nicht mehr fuhr.
Darauf wurden die Teile wieder ausgebaut.
Als nächstes ersteigerte Kevin eine Frankiermaschine über ebay zur Selbstabholung. Der Fahrer, mit der Angst im Nacken ja nicht zu lange zu brauchen- Kevin hatte vorher die Fahrtroute berechnet- holte das Teil in Rekordzeit, fragte aber nicht nach der Bedienanleitung. So stand das Gerät da und keiner konnte es bedienen. Kevin konnte da auch nicht helfen- ist halt kein Porsche. So steht das Teil da und verstaubt in der Ecke.
Jetzt dämmerte auch dem Alten, dass er Kevin aus der Schusslinie nehmen muss, um den Betriebsfrieden zu sichern. Sicher verkraftet die Firma auch einen Mitläufer, aber nur wenn er nicht permanent im Weg steht. So fährt er die Hälfte der Woche umher und versucht sich in Kundenbetreuung, das, was ich sonst telefonisch erledige. Kevin hat man das als Beförderung verkauft, damit er nicht schmollt. Jetzt fährt er wortwichsend durch die Landen und ich muss dann hinterher am Telefon unseren Kunden alles erklären und richtig stellen.
Gestern hat ihm der Alte einen neuen BMW Kombi vor die Tür gestellt, der alte Passat war nicht standesgemäß für unseren Kevin. Die anderen Fahrer haben zwar etwas gemosert, weil in Karre nix rein geht, aber ich dachte so bei mir, wenn wenigstens die neue Praktikantin Platz findet, wird das Auto schon seinen Zweck erfüllen. Und tatsächlich, nach einigen Wochen wollte er die dralle Blondine, die er selbst dem Chef übergeholfen hatte mit auf seine Fahrten nehmen- die Pornokanäle in den Hotels waren ihm wohl zu langweilig geworden.
Man erzählt sich die Anekdote, dass die blonde Mondkuh- angesprochen auf eventuelle Erfahrungen mit speziellen Sondenkosten- sagte, dass sie schon einmal in einer Catering -Firma gearbeitet hat.
Unsere Fahrer haben übrigens eine sehr direkte Art, die Idee unseres Überfliegers zu kommentieren, seine blonde Praktikantin mit auf Kundengespräche zu nehmen. Sie machen mit ihrer Zunge so komische Bewegungen an ihren Wangenwänden, so dass sie sich nach außen beulen- keine Ahnung was das zu bedeuten hat.
Schade, dass er das nicht die ganze Woche macht. Letztens kam er auf die Idee. Das man doch alle PCs vernetzen kann, damit jeder sehen kann, was der Andere macht.
Ich weis auch nicht, bis dato hatten wir unser Arbeitspensum und das reichte bis zum Feierabend, da kam nie Langeweile oder Leerlauf auf. Aber mancher Abteilungsleiter denkt eben auch, dass wir bei jedem Gespräch, wie er, über kostenintensive Hobbys sprechen, die ihm wohl als Schwanzverlängerung dienen.
Jedenfalls erinnert mich unsere Firma an ein Ruderboot mit drei Steuermännern und zwei Ruderern.

Meint die dem Hitzekollaps nahe Rottweilerin


Kranke Szähne

Meine Krankenkasse liebt mich. Warum? Seid ich hier wohne, und das sind jetzt fünf Jahre, war ich nicht einmal krank, oder zumindest habe ich keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gebraucht. Ich falle aus der Statistik, die besagt, dass der Standard–Deutsche, natürlich auch Deutschin, 17mal im Jahr zum Arzt geht. 17 Mal!
Was sind das für Leute, die da siebzehn Mal im Jahr zum Onkel Doktor gehen? Man vermutet sexuelle Obsessionen, die Weiterführung verschämter Doktorspiele, wie weiland im Schulhort. Aber bei der Klientel wird der Arzt wohl auch eine komplizierte Erkrankung nur durch Zunge raus stecken diagnostizieren wollen.
Und fast hätte ich selbst diese Erkenntnis nicht gehabt. Denn spätestens der zweite Satz der Sprechstunden-Hilfe in Leipzig lautet: „Wir nehmen keine Neu-Patienten an!„. Auf dem Land wäre mir das nicht passiert. Die Registratur in einer Leipziger Arztkartei kommt an die ostzonale Autoanmeldung heran, hätte ich das gewusst, hätte ich mich schon gleich bei meinem Umzug um eine Stelle beworben. Aber fünf Praxen später und Dank eines Tricks meiner Freundin, die durch eine Gehbehinderung sowieso Begleitung brauchte, kam ich auch zu einer Behandlung. Erst meine Freundin und dann ich gleich hinterher. „Sind sie schon einmal bei uns gewesen?„, Fragte die Matrone hinter dem Schalter lauernd: „Wir nehmen nämlich keine…„ Dann legte meine Freundin ein gutes Wort für mich ein. Das war auch bitter nötig, denn langsam machte sich meine Magen- Darm-Erkrankung wieder bemerkbar. Gut, dass ich mich einen Tag erst einmal selber behandelt habe,
hätte ich gestern meine Odyssee gestartet, hätte das ein schlimmes Ende genommen, mittlerweile waren auch schon 90 Minuten vergangen, noch einmal 90 Minuten sollte es dauern, bis ich zur Ärztin vorgelassen wurde.
Mir gegenüber im Warteraum ein Dutzend Senioren, die sich mit wachsender Begeisterung von ihren Zipperleins erzählten. Da sie recht fidel wirkten, wuchs in mir die Hoffnung, dass sie nur mal eben alle zum Quatschen hergekommen sind. Leider war das Wunschdenken, welches wohl vor allem meinem einsetzenden Delirium zu verdanken war. Denn selbst die Silbertannen, die nach mir kamen, waren doch eher bei der Göttin in Weiß, um sich ihre Hühneraugen besprechen zu lassen.
Aber ich beklage mich nicht, habe ich doch wenigstens die Berechtigung erworben, einen Warteraumstuhl zu belegen. Man kann auch den Ärzten keinen Vorwurf machen, mehr als arbeiten kann man auch nicht, es gibt eben zu wenige Praxen und wenn sich einundsiebzigjährige Allgemeinmediziner nicht trauen, in Rente zu gehen, weil sie keine Nachfolger haben, dann sagt das schon so einiges über unser tolles Gesundheitswesen aus.
Aber so was siehst du nicht im allnachmittäglichen Assi- TV auf Prost 7. Da suhlen sich irgendwelche degenerierten Tussen auf dem OP-Tisch, weil ihnen der Biez vergrößert, gestrafft oder viereckig gefaltet werden soll. Das sieht dann der, noch nicht moralisch gestählte, Medizinstudent, der vielleicht noch chronisch untervögelt ist und sagt sich: „Benz, Brioni und Silikoneuter- ich werde Schönheitschirurg!„ Mit dem Ergebnis, dass für ein Dutzend „Institute„ für plastische Chirurgie in der Zeitung geworben wird, ein Platz beim Arzt aber nur noch auf dem Schwarzmarkt zu kriegen ist - es sei denn, man ist Privatpatient, oder man schiebt als Kassenpatient noch ein paar Euros nach.
Mit diesen Gedanken werde ich ins Arztzimmer gerufen. Ein bisschen Hand auflegen, ein Röhrchen für die Stuhlprobe und ich kann mich wieder auf den Weg machen - und natürlich der Schein für den Chef.
Aufwand und Ergebnis stehen für mich in keinem Verhältnis. Ich werde mir auf jeden Fall ein Buch organisieren, so einen Beinbruch kann man doch bestimmt selber behandeln…
Und meine Krankenkasse wird mich lieben!

Meint die Rottweilerin

Literaturszähne

Leipzig ist ja ne Poetenstadt, nicht nur wegen Goethe und Schiller. Leipzig hat sogar ein richtiges Literaturinstitut. Dort wird die Schreiberelite ausgebildet und manchmal werden sie raus gelassen, die neuen Günther Grass und Herta Müllers. Aktueller Anlass war, na was wohl 20 Jahre „Friedliche Revolution“.
Wo, wenn nicht in Leipzig wird so was noch etwas pompöser gefeiert Denn Leipzig ist auch Heldenstadt. Da reicht natürlich nicht eine poplige Kundgebung Ein Lichterfest musste es sein, ein richtiges Happening. Der Kleinbürger feiert seinen Mut vor zwanzig Jahren auf einer Leiche rumgetrampelt zu sein. Dank dieses selbstlosen Engagements gibt es jetzt Westautos, Danonejoghurt und Lux-Seife und für die, die keine Lux Seife benutzen, wie zum Beispiel die Kollegen mit REWE -Parkplatz - Dauerabo, bei mir um die Ecke, für die gibt es die 39 –Cent Blechsemmel.
Und damit niemand die DDR wieder haben will, laufen die Berufsrevolutionäre zur Hochform auf, um uns von den Grausamkeiten der DDR- Diktatur zu berichten, die leben ja seit zwanzig Jahren davon. Alles wird auf hübsch hässlich gemacht, na wenn es der Sache dient…..
Nur Giftgaskrieg hat sich noch nicht in das Redemanuskript Köhlers eingeschlichen, aber wir feiern ja auch bestimmt einen Dreißigsten…
Dann wird es bestimmt wieder ein Fest geben und sicher sind wieder genau so viele Leipziger Künstler am Programm beteiligt, wie beim Zwanzigsten. Und es drängen sich genau so viele Helden von damals in die Medien, wie der Oberbürgermeister, oder Erich Loest, der die Revolution von Hamburg aus dirigierte.
Böse Zungen behaupten, das die Ausgestaltung der Feier von Geldern bestritten wurde, die für den Erhalt des Völkerschlachtdenkmals gedacht waren- aber ich bin mir fast sicher, dass dies nur böse Propaganda ist. Leipzig ist so wohlhabend, das es die Finanzlöcher vertikal in den sächsischen Boden treibt. Und Künstler die die friedliche Revolution in Szene setzen, müssen aus Wuppertal sein, da sie mit dem nötigen Abstand auch den Überblick haben. Schließlich muss man auch kein Schnitzel sein, um über eine Pfanne zu schreiben.
Seht ihr, in diesem Text wächst zusammen, was nicht unbedingt zusammen gehört, denn schon bin ich bei den Helden des spitzen Federkiels, der Phalanx der schreibenden Vordenker aus Leipzig. Gib ihnen ein Thema, schon haben sie weißes Papier entjungfert. Da wird dann auch schon mal seitenlang über die Farbe Blau philosophiert. Vielleicht ist es dann nur logisch, dass bei der Betrachtung der ehemaligen DDR nur eine blutleere Schwarz/Weiß Malerei heraus kommt.
Herta Müller merkte bei der 3. Poetikvorlesung in Leipzig an: „Das aktive Erleben braucht keine fiktionale Sprache. Uns treibt es im Nachhinein um, weil es im Kopf gespeichert ist. Und dann habe ich erst habe ich Zeit, mich dem Ganzen im Imaginären zu stellen.“ Oder, um es mit Wittgenstein zu sagen: „Wovon man nicht reden kann ,darüber muss man schweigen.“ Das scheint mir die Tragik zu sein, man spricht viel von Dingen, die man nicht versteht, aber das dann wenigstens formvollendet. Da wirkt eine Miniatur von Christian Kreis (DLL) geradezu herzerfrischend: „ Morgens lese ich Adorno und abends sehe ich Porno“.

Die Rottweilerin

Musikzähne

Radio kann man zur zeit nicht mehr hören. Zumindest, wenn man als erwachsene Frau einen Anspruch an die Stimmlage hat. Die Girlies haben ja Tokio Hotel. Aber was macht frau, wenn sie keine Zahnspange mehr trägt? Zur Erklärung, ihr lieben Unterhaltungsmusik-Verantwortlichen: Musik hört frau ja weniger mit den Ohren als mit den Regionen unterhalb des Zwerchfells (es gibt doch diese „Dort Mund!„-T-Shirts – ja diese mit dem Pfeil). Na, ich will das mal nicht weiter vertiefen.
Da trinken Legionen von Talente-Scouts ihr Gnadenbrot bei den Plattenfirmen und dann quillt aus den Boxen so ein unglaubliches Gequiekse von eigentlich erwachsenen Männern mit zerzausten Vollbärten wie beispielsweise James Blunt (da macht frau sich echt Gedanken, ob der nicht mal bei der Royal Army einen dummen Treffer bekommen hat). Oder diese Jammerlappen von Coldplay, die verwandeln jeden Sommertag in Novembertristesse – kann ich nicht länger als zehn Minuten hören, ohne dass ich mich sofort auf meine Tastatur lege, was mein Chef nicht gern sieht.
Irgendwann sagt frau sich, beim Radio haben bestimmt nur homosexuelle Endfünfziger das Sagen. Nichts gegen Schwule – mit einem Shoppen gehen, endgeil sage ich euch. Stundenlang geht das und mit ihm habe ich noch nie eine Schrankleiche gekauft. Aber Musik ... „Du, hör dir mal Radiohead auf Gras an„, sagte er zu mir. Was soll ich sagen, ich habe es ne halbe Stunde „ohne„ probiert, dann habe ich aber doch zur Tüte gegriffen. Aber was ist das für Musik, die man sich erst schön rauchen muss?
Es soll ja auch richtige Radiohead-Partys geben. Keine Ahnung was da abgeht: Man hält sich vielleicht gegenseitig tänzerisch vom Suizid ab. Noch wahrscheinlicher ist, dass man dort jede Menge Möchtegern-Musiker trifft. Vertieft in die Diskussion, will man auch so schön komplizierte Musik machen: noch ein Bruch, noch ne Bridge und noch ne Triole. Dabei liegen die Dinge anders.
Heute ist es doch so: Musik, die so Scheiße ist, dass selbst ein Scout nach drei Flaschen Rotwein nicht bereit ist, das seiner Plattenfirma vorzustellen, nennt man Indie-Musik. Der Witz ist, als damals Independent-Musik aufkam, war es ein Konzept, wie man Musik an die Leute bringt, ohne sich von alten Säcken und deren Musikgeschmack abhängig zu machen.
Heute liest sich bei so genannten Indie-Bands ein „Ja, wir haben einen Plattenvertrag„ wie „Ja, wir haben es geschafft„– eine Art Verbeamtung in der Musikbranche. Meist haben sie sich ein Jahr später aufgelöst, die ach so hoffnungsvollen Bands. Aber die Feuilletonisten meiner geliebten Tageszeitung schreiben im Quartalsrhythmus von einer neuen Pophoffnung an Leipzigs Himmel, die es schaffen werden, gesamtdeutsch punkten zu können. „Pah„, sage ich da – eher schafft es Magdeburg … Ach so, haben sie ja schon.
Kennt eigentlich noch jemand Unicyclemen oder Mad-X-Ray? Ja, die gibt es noch – spielen aber meist unter Ausschluss der öffentlichkeit. Dabei gibt es in dieser Stadt zumindest in der Subkultur richtige Exportschlager. Eine Leipziger Metalband, deren Namen ich nicht behalten habe, setzt in ‹bersee tausende Tonträger ab und es interessiert keinen Schreiberling. Während eine Band wie Woodruff And The Snibble Of Azimut (was für ein Name) als „The next big thing„ gefeiert werden – und dann bescheren sie nach einem Jahr der Künstlersozialkasse (kurz: KSK) ein sozial verträgliches Frühableben. Und es liegt bestimmt nicht daran, dass unsere Rockelite zu verkopft ist.
Ich habe mich mal mit so einer Pophoffnung nach einem Konzert unterhalten. Alles, was sich nicht mit seiner Person beschäftigte, hat ihn scheinbar nicht interessiert. Als ich mich dann beschwerte, dass er ganz schön narzisstische Züge hat, sagte er empört: „Ich bin kein Nazi!„ – Ohne Kommentar.
Bei mir erzeugt jedenfalls die meiste Musik, die aus dem Radio quillt, nur noch Kopfschmerz und so was wie The Kooks oder Kaiserchiefs wird ständig mit Superlativen überhäuft, dabei funktioniert das doch wie des Kaisers neue Kleider – noch getraut sich keiner zu sagen, dass das unbeschreiblicher unmelodischer (zugegeben handwerklich gut gemachter) Lärm ist. Das sind alles Musik-Tamagotchies und werden nach einer immer kürzer werdenden Halbwertszeit dem Lokus überantwortet.
Aber man kann ja nicht den ganzen Tag Joy Division hören. Na, zumindest war das was für die Ewigkeit – drei Jahre Musik machen und 30 Jahre nachhallen. Sportfreunde Stiller kann ich jetzt kaum noch ertragen.
Ich jedenfalls habe mich gestern mit einem klassischen Cellisten verabredet, die Tonlage stimmt und wenn der nur halb so gut mit mir umgeht, wie mit seinem Instrument, dann aber holla die Waldfee.
Wenn nicht … dann kenne ich ja noch den Mann mit der Maultrommel.

In freudiger Erregung – Die Rottweilerin!

Userzähne

Ladys, ihr kennt das, es ist Frühling und plötzlich merkt frau, dass frau völlig untervögelt ist.
Von wegen Sex in the City. Gut, dass es in the City gut sortierte Erotikgeschäfte gibt. Nicht, dass „Paul„ seine Arbeit nicht verrichtet, aber Silikon ist auch nicht die Lösung. Naturecht oder nicht, der Geruch ist es nicht und er fragt nicht: „Na, wie wars?„ am nächsten Morgen. Worauf ich gönnerhaft sagen kann: „Aber der Kaffee war gut!„ - Ich bin eben Romantikerin.
Monatelang tropft das Leben an einem vorbei, aber in der einen Woche Urlaub trifft einen die Einsamkeit einer urbanen weiblichen Existenz mit aller Wucht.
Frau sitzt stundenlang am Fenster, sieht die vielen glücklichen Betrunkenen bei Rewe und fragt nach dem Sinn des Lebens, des weiblichen wohlgemerkt, welches ausgerichtet ist zu empfangen. Aber wo ist der Sender, der genug Tinte auf dem Füller hat? Mal metaphorisch gesprochen.

Und ich hatte Hoffnung. Im Fenster gegenüber saß da so ein Typ, kein Prolet, das konnte ich erkennen am bläulichen Licht, das sein PC auf sein Gesicht warf. Und ich hatte ja Zeit, sah ihn früh (15 Uhr) schlaftrunken an den Briefkasten schlurfen: halblange, brünette Haare, Emo-Typ, was zum Bedauern und Trösten. Mein Jagd- und Mutterinstinkt war geweckt. Den werde ich mir mal näher ansehen, dem stalke ich mal hinterher – dachte ich. Der Vater meiner imaginären Kinder, zumindest den Stammbediener von Paul, denn mittlerweile hatte ich eine Sehnenscheidenentzündung.
Nun ist es schwer, jemandem hinterher zu spionieren, der nie das Haus verlässt. Früher (jeder kennt das aus alten Filmen) hätte man oder eben frau alibimäßig nach Zucker gefragt, macht heute aber keiner mehr. Nur wo begegne ich dir, holder Jüngling?
Na klar, die Hundewiese von Heute, auf der frau Rüden beschnuppern kann, ist ja die Virtuelle. Geschlagene zwei Tage meines kostbaren Urlaubs habe ich gebraucht, um via weltweitem Netzes in das Zimmer von Gegenüber zu gelangen. Aber jetzt kannte ich ihn, bis auf seinen richtigen Namen. Hier im Forum „Dark City„ hieß er Dirty Pig – na, klang doch viel versprechend – 22 Jahre und studiert Philosophie, die Mischung aus Verdorbenheit und Intelligenz: Oh ja, danach habe ich schon immer gesucht. Nach einer halben Stunde hatte ich dann mein Profil erstellt: Die Rottweilerin, 25 Jahre (na ja, aber war ich ja mal), Single (auf der Suche) und Spruch drunter: „Hunde, die bellen, beißen nicht!„ - schließlich wollte ich ja meinen zukünftigen Sexualpartner nicht gleich verschrecken. Noch ein schickes Galeriefoto von meinem Tauchurlaub reingestellt und schon konnte es losgehen. Natürlich musste ich hier den ersten Schritt machen, das war klar. Aber nicht auf die plumpe Art und Weise wie: Ich Rottweilerin, du Dirty Pig, ergo lass uns einen Schweinehund zeugen. So ein Typ ist bestimmt sehr sensibel. Also erst einmal behutsam nachgefragt: „Hallo Dirty Pig, ich bin neu in der Stadt und kenne hier niemanden. Wo gehst du so hin?„ Es dauerte ne kleine Weile, bis er mir antwortete: „Du, ich bin sehr beschäftigt, ich studiere und da habe ich keine Zeit für Zerstreuung. Sieh doch einfach im Szeneguide nach oder, wenn du einen Partner suchst, beim Diskussionsforum „Bienen und Blumen„. Oh, das hatte gesessen. Na gut, ich wollte ja einen ernsthaften Mann. Also anders. So zuckersüß wie ich flöten konnte, hauchte ich in die Weiten des weltweiten Webs: „Oh, was studierst denn du?„ (Als ob man das nicht schon aus dem Profil wüsste.) Es folgten einige PN, die an Monologe erinnerten. Aber so erfuhr ich was über die Ethik der Gegenwart, über welche er eine überaus wichtige Hausarbeit anfertigen musste. Über Nitzsche und Heidegger. Mir fiel nur auf, dass er noch nix über mich gefragt hatte.
Aber am dritten Tag hatte ich ihn dann auf der persönlichen Ebene. Derzeit habe er ein geplatztes Äderchen im Auge, deswegen könne er nicht zur Uni gehen. Na, das erklärte, warum ich immer Licht bei ihm zu Hause sah. Ich bedauerte ihn ein wenig und machte mir berechtigte Hoffnungen, ihn am Wochenende in mein Körbchen zu bekommen. Mittlerweile hatte ich schon den typischen User-Tagesablauf angenommen. Früh um fünf ins Bett und 15 Uhr wieder an den Rechner. Am Donnerstag dachte ich dann, es wird Zeit für eine persönliche Konfrontation. Als er 15 Uhr seine Frühstücksbrötchen holte (ich kannte ja seine Gewohnheiten), stellte ich mich in die Reihe und überlegte mir eine Strategie, ihn anzusprechen. Eine resolute End-Vierzigerin war schneller, aber es waren eher wenig schmeichelhafte Worte, die sie fand: „ Ah, Torben Schneider, Sie in der Uni anzutreffen, ist ja fast so wahrscheinlich wie den Papst im Wasserturm. Aber meiner Ansicht nach gehören sie da auch nicht hin, also auf die Alma Mater. Wenn man ihre Hausarbeit liest, könnte man zur Überzeugung gelangen, dass sie Agricola für ein Mixgetränk halten. Sie haben so viel Ahnung von Philosophie wie die Brötchen, die sie sich kaufen„.
Uff, das musste ich auch erst einmal verdauen. Ich bestellte mir Brötchen und Leipziger Lerchen.
Als ich wieder vorm Rechner saß, versuchte ich das Gespräch per PN in eine tröstliche Richtung zu schieben, aber Torben Dirty Pig war wieder völlig souverän. Er dozierte gerade wieder über die Ethik der Gegenwart per PN–Monolog. So, als wäre nix gewesen und ich kam mir ein wenig schäbig vor, weil ich nicht mit offenen Karten spielte. Ich schrieb dann irgendwann „Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an sie zu verändern!„ Das nahm er jetzt persönlich und kam mir mit Philosophie, der Mutter aller Wissenschaft und Erkenntnis. Ja, Erkenntnis, mein Torben, die hätte dir gesagt, dass das gerade ein Zitat von Marx war. Plötzlich kam mir Paul gar nicht mehr wie eine schlechte Alternative vor. Auf jeden Fall eine willkommene Abwechslung.
Zwei Stunden später schaute ich noch einmal ins Netz, „Torben DP„ täuschte Geschäftigkeit vor. Ich sah in die Foren, in denen er aktiv war. Aha, er interessiert sich für „Menschen mit Handicap„. Es sind eben nicht alle Menschen nur schwach und schlecht. Schön, dass er dafür ein offenes Ohr hat, dachte ich, da kann er ja vielleicht einen sozialen Beruf ergreifen – ein kurzes Aufflackern meiner mütterlichen Instinkte.
In diesem Forum ging es um eine Sendung, die eine engagierte Blinde im MDR moderierte:
Eintrag von „Blumentopf„:
„Und demnächst moderiert ein Debiler – haha LOL und rofl!„
Eintrag „TEEina„:
„Ich könnte mich aufregen, nur weil mal eine zufällig blind ist, muss das doch nicht extra Erwähnung finden, wir machen doch auch was irgendwie, oder?„
Eintrag „Krähenfrass„:
„Sie ist nicht nur blind … lufthol ... nein, sie ist auch noch ein Gruftie! Ausschüttvorlachen. Das ist doch urkomisch, oder?„
Eintrag „To blind to see„:
„Betroffenheitsfernsehen nervt. Die sollten lieber mal was über die schwarze Szene bringen. Ich wurde letztens unheimlich angemacht in der Bahn, weil ich mir rote Kontaktlinsen rein gemacht hatte. Ich finde, wir brauchen mehr Toleranz. Es ist menschenverachtend, wenn man nur dumm gemacht wird, weil man mal etwas anders aussieht. Aber so was findet im TV ja nicht statt.
Eintrag „Dirty Pig„:
„Wie Nitzsche schon sagte, wir leben in einer Diktatur der Schwachen, ich würde mir wünschen, dass auch die Leistungsträger unserer Gesellschaft, so wie wir, mehr Beachtung bekommen würden.„
Nun hatte ich echt genug gelesen. Zufällig kannte ich die Dame, um die es hier ging, durch meinen Bürojob in einem Verlag.
Eintrag Rottweilerin:
„Die Dame hat schon mehr geleistet, als ihr alle zusammen. Neben dem TV-Job hat sie schon zwei Bücher geschrieben und geht jeden früh auf Arbeit und das ist ein Zustand, den ihr wohl annähernd nicht erreichen werdet, denn dazu müsste man mal früh aus den Federn kommen. Manchen fehlt es trotz Augen an Durchblick. Ach, und Torben, man bohrt nicht in der Nase!„
Durch das Fenster konnte ich erkennen, wie Torben misstrauisch seine Webcam beäugte und sie abnahm. Auf die Idee, dass Menschen auch durchs Fenster sehen können, kam er auch nicht mehr. Ich war müde und trauerte fünf kostbaren Urlaubstagen hinterher.
Unten beobachtete ich Landschaftsgärtner, die die Hundewiese auf Vordermann brachten. Einer der grün bekleideten Grasdesigner (Warum muss ich bei Gras an Radiohead denken?) ließ plötzlich seine Harke fallen und geleitete eine klapprige Rentnerin über die vom Berufsverkehr durchspülte urbane Lebensader vor meiner Haustür. Ein Fall von Sozialkompetenz wie er mir in den letzten Tagen nicht begegnet ist. Und plötzlich war mein Jagdinstinkt erwacht und mein Glaube an die Menschheit und ganz da unten erwachte auch etwas, vielleicht hat ja Paul dieses Wochenende mal Pause.
Ich packte die Leipziger Lerchen vom Vortag ein, befüllte die Thermoskanne mit Kaffee: Wenn schon nicht Breakfast bei Tiffanys, dann doch ein Picknick mit der Option für ein schönes Wochenende.

Ich halte euch auf den Laufenden,
eure Rottweilerin.